Geschichten von verlorenen und vergessenen Ländern und Herrschern erzählt in Briefmarken

by Adrian Schaub
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Artikel von Dr. Adrian Schaub, SPhV Basel

Ich bin der letzte Briefmarkensammler – zumindest in meinem privaten Umfeld. Deshalb habe ich über die letzten Jahre gratis und franko diverse Marken und ganze Sammlungen von näheren und ferneren Bekannten erhalten. Eine klassische win-win Situation: Ich freute mich und diese waren dankbar, dass sich überhaupt noch jemand dafür interessierte und die über Jahre liebevoll gesammelten Marken vom Schicksal der Altpapiersammlung bewahrte.

1942: Schaubeck Jugend-Album (Titelblatt 28.5 x 30 cm)

Angebote gegen Bezahlung habe ich stets dankend abgelehnt, da mich der kommerzielle Wert der Marken nicht interessiert, sondern die Geschichten, die sie zu erzählen haben. Motiv, Farbe und Stempel sind einmalige Zeitzeugen.

1939, Soldatenmarke Zweiter Weltkrieg Schweiz, Ter. Füs. Bat. 179 an meinen Aktivdienst leistenden 
Grossvater väterlicherseits (Wittwer 357)

Als über 50-jähriger ist mir jedoch klar, dass meiner Briefmarkensammlung nach meinem Ableben ebenfalls das Schicksals des Altpapiers droht. Aufgrund der fehlenden Nachfrage wird nur noch ein Bruchteil des Katalogwerts für die Marken bezahlt – falls sich überhaupt ein Käufer findet.

Deshalb entschied ich mich, meine Briefmarken aus den Alben zu befreien und sie als Zeugen der Zeitgeschichte auferstehen zu lassen. Dabei habe ich im Geiste viele spannende Reisen in ferne Länder und vergangene Zeiten erlebt, die ich gerne teilen möchte.

Sämtliche abgebildeten Briefmarken und Briefe stammen aus meiner Sammlung. Die nachfolgenden Kapitel sind deshalb ein subjektiver und selektiver Ausschnitt der Philatelie- und Weltgeschichte.

Briefmarken als Zeugen der Zeitgeschichte

Das Postwesen kann auf eine über 4000 Jahre alte Geschichte zurückblicken. Bereits im Jahre 2500 vor Christus hatten die Ägypter Postverbindungen von Memphis nach Karthago. Ebenfalls in China bestand bereits um 1000 vor Christus ein gut organisiertes Nachrichtenwesen.

Unter Kaiser Augustus bauten die Römer den Cursus publicus auf einen hohen Stand aus. Es erfolgten regelmässige Posttransporte zwischen den Schwerpunkten des Reichs.  Der Begriff „Post“ leitet sich von den an diesen Strassen gelegenen „Statio posita“, wo die Pferde gewechselt wurden, ab.

Strassennetz des Cursus publicus auf dem heutigen Gebiet der Schweiz

Die für den Briefmarkensammler interessante Periode beginnt jedoch erst im Mittelalter. Aus dieser Zeit sind die ersten Briefe bekannt, welche Transportvermerke in Form postalischer Notizen oder gar eines Stempels auf dem Brief tragen. Es ist ein Beleg der venezianischen Post von 1391 erhalten, welcher die Aufschrift trägt  „Portentur par cavallaros postarum velociter qui frequentiam important“ (in Eile durch den Postreiter zu spedieren, da Fürsorge wichtig).

Früher bezahlte der Empfänger das Porto. Da die Postverwaltungen lokal organisiert waren, stellte die Zustellung von Briefen über die Grenzen einer Postverwaltung hinaus eine besondere Herausforderung dar. Diese wurde dadurch gelöst indem die abgebende Postverwaltung das aufgelaufene Porto handschriftlich auf dem Brief notierte und von der empfangenden Postverwaltung bei der Übergabe einkassierte. Die zustellende Behörde machte den Betrag für die gesamte Strecke beim Empfänger geltend. Für diese Abrechnung war die Dokumentierung des Aufgabeorts und der Übergabeorte unabdingbar. Dies führte zur Einführung des Poststempels.

Brief von Genua nach Bern, Juni 1855 mit Stempel von Genua, Genf und Bern und handschriftlichem 
Vermerk der Gebühren. Der Empfänger ist der Ururgrossvater mütterlicherseits meiner Stiefmutter, der Absender dessen Bruder. Beide Familien waren als Hugenotten von Marseille nach Bern 
respektive Genua ausgewandert.

Die Einführung der Vorfrankierung der Post durch Briefmarken erfolgte nicht ganz reibungslos. Zwar bestand bereits sschon früher die Möglichkeit, das Porto im Voraus ganz oder zumindest für den eigenen Postkreis zu bezahlen. Dies wurde auf den Briefen mit Vermerken wie P.P. (Port payé) oder P.D. (Payé destination) vermerkt. Dies bildete jedoch die Ausnahme und nicht die Regel.

Viele Postbehörden standen der Einführung der Vorausfrankierung skeptisch gegenüber, da sie befürchteten, dass diese Auslage den Absender davon abhalten könnte, den Brief überhaupt zu schreiben. Ähnliche Überlegungen in umgekehrter Perspektive wurden seitens der Briefschreiber getätigt. Die Einführung der Briefmarken verlief beispielsweise im Kanton Genf harzig, weil deren Verwendung in gewissen Kreisen als Beleidigung galt, da damit eine Geringschätzung der finanziellen Lage des Empfängers zum Ausdruck gebracht wurde. Die Genfer Postbehörde entschied sich deshalb am 1. März 1844 zu einer Marketingaktion. Die Doppelgenf wurde am Schalter für 8 statt 10 Centimes verkauft. Für unfrankiert gelaufene Briefe musste der Empfänger jedoch das volle Porto von 10 Centimes bezahlen.

In England herrschte in den 1830er Jahren verbreite Unzufriedenheit mit dem Postwesen, insbesondere den hohen Taxen. Die englische Regierung setzte deshalb eine Kommission zur Überprüfung des Postwesens ein. Sir Rowland Hill war Mitglied dieser Kommission und machte die Vorschläge, dass unabhängig von der Distanz ein Einheitsporto von einem Penny gelten solle und dass das Porto vom Absender durch Briefmarken zu bezahlen sei.

6. Mai 1840, Königin Victoria (Mi GB 1)

Trotz erheblicher Widerstände im Parlament erschien schliesslich am 6. Mai 1840 in England die erste Briefmarke der Welt. Diese zeigte ein Porträt der Königin Victoria (1819-1901). Während ihrer 63-jährigen Regentschaft erreichte das britische Weltreich seine grösste Ausdehnung und den Höhepunkt seiner wirtschaftlichen und politischen Bedeutung. Nicht umsonst wird die Blütezeit des englischen Bürgertums auch als „Viktorianisches Zeitalter“ bezeichnet.

Das britische Weltreich um 1900

Aus heutiger Sicht ist es ein Glück, dass sich die Briefmarke in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern durchsetzen konnte. Dadurch haben wir heute Zeugnisse von Währungen (wie Kreuzer, Groschen oder Kronen), die schon lange ausgestorben sind sowie von Ländern (wie etwa untergegangene Königreiche und Scheichtümer), die nur noch in historischen Atlanten zu finden sind.

In einzelnen Gebieten können wir durch Briefmarken auch die wechselvolle Geschichte nachvollziehen, wie etwa in Deutschland die Entwicklung von Deutschem Bund über Kaiserreich, Weimarer Republik, nationalsozialistische Herrschaft, alliierte Besatzungszonen, Bundesrepublik respektive Deutsche Demokratische Republik bis hin zum wiedervereinigten Deutschland im Jahre 1990.  

Einen spannenden Einblick geben uns auch die Wahl der Farben und Motive. Anfänglich waren Farben wie ultramarin, karminrot, lilabraun oder olivschwarz weit verbreitet, welche in heutigen Publikationen nahezu verschwunden sind. Ebenso interessant ist die Wahl der Motive. Deren Auswahl respektive die Art und Weise der der Darstellung lässt uns ein bisschen an den damaligen Themen und Wertvorstellungen teilhaben. Manche sind wahre Kunstwerke in Kleinstformat.

Eine meiner diesbezüglichen Lieblingsmarken ist die 1922 in der Republik Österreich herausgegebene Frauenkopf-Serie. Dieses Kleinod des Jugendstils lautet auf die zwischen 1892 respektive 1918 und 1925 in Österreich gültigen Währung „Kronen“ und ist in klingenden Farben wie dunkelsiena, ultramarin, karminrot, opalgrün, schwarzbraunviolett, dunkelgelblichrot und schwarzblauviolett gedruckt worden.

Januar 1922, Frauenkopf 20, 25, 50, 100, 200, 500, 1000 Kronen (Mi Österreich 398A, 399A, 400A, 401A, 402A, 403A, 404A)

Ihre ganz eigene Geschichte erzählen jeweils Ganzsachen. In einem späteren Kapitel werde ich anhand meiner Sammlung von Flugpostbriefen über die Entwicklung der Fliegerei, von den ersten Pionieren anfangs des 20. Jahrhunderts bis hin zum regelmässigen Transatlantik Passagierverkehr in den 1960er Jahren, erzählen.  

Mai 1925 Flugpost Basel-Zürich anlässlich der Einweihung des Wehrmännerdenkmals auf der 
Batterie auf dem Bruderholz bei Basel mit Tellbrustbild 10 Rp. (SBK 153), Flugpostmarke (SBK F 3) sowie FDC Vignette und Stempel

Gewisse Dokumente haben neben dem historischen auch einen sentimentalen Wert. Dazu zählen etwa die diversen Postkarten, die mein Grossvater vom Aktivdienst im zweiten Weltkrieg an seine Familie geschickt hat, und über die ich im Kapitel über den zweiten Weltkrieg berichten werde.

In die gleiche Kategorie fällt auch die nachfolgende Erinnerungs-Postkarte. Mein Urgrossvater arbeitete als Ober-Postassistent bei der Deutschen Post in Lörrach und schickte diese am 12.12.1912 um Punkt 12 Uhr an seine 10-jährige Tochter, meine Grossmutter väterlicherseits.

Eine besondere Herausforderung bei älteren Dokumenten stellt häufig die Handschrift dar. So wurde zum Beispiel zwischen 1900 und 1942 in den deutschen Schulen die nach dem Berliner Grafiker Ludwig Sütterlin benannte „Sütterlinschrift“ als Handschrift gelehrt. Diese unterscheidet sich teils erheblich von den Handschriften späterer Generationen. Interessant an der untenstehenden Postkarte fand ich in diesem Zusammenhang die inkohärente Schreibweise der Buchstaben. So wurde etwa das kleine „s“ in Elsa anders geschrieben als in Postassistent.

Postkarte mit Germania Vordruck 5 Pfennig (Mi DR 70)

Schon bald wurden auch Briefmarken mit Aufschlägen herausgegeben, welche Spenden für einen guten Zweck sammelten. Als staatlicher Akteur hatte die Post nicht nur das Vertrauen, dass die Spenden auch am richtigen Ort ankamen, sondern auch die unkomplizierte Möglichkeit, kleinste Spendenbeträge in Form von Zuschlägen auf Marken zu sammeln.

Dies geschah typischerweise nach Natur- oder menschgemachten Katastrophen in Form von Aufdrucken auf den normalen Marken. So wurden etwa nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland Marken mit einem Aufschlag zugunsten der Kriegsgeschädigtenhilfe verausgabt.

1. Mai 1919, Kriegsgeschädigtenhilfe, Germania mit Aufdruck «für Kriegsbeschädigte», 10+5 Pf (Mi DR 105)

Auch in der Schweiz wurden Marken mit Zuschlägen herausgegeben. Dies geschah etwa nach den massiven Überschwemmungen 1987, wo eine 50 Rappen Marke mit einer zusätzlichen Spende von 50 Rappen zugunsten der Unwettergeschädigten verausgabt wurde.

7.9.1987 Postbote heute (SBK 738) mit Aufdruck zugunsten der Unwettergeschädigten 
(SBK W66) – Abbildung verkleinert

In der Schweiz wurde im Jahre 1912 die Stiftung Pro Juventute gegründet. Der ursprüngliche Zweck der Bekämpfung von Tuberkulose bei Kindern und Jugendlichen wurde später auf weitere Projekte zugunsten von Kindern und Jugendlichen in Not ausgedehnt. Die schweizerische Post verausgabte ab 1913 Briefmarken mit einem Verkaufszuschlag zugunsten von Pro Juventute.  

Die untenstehende Glückwunschkarte wurde auf dem Postamt Basel 9 um 10 Uhr am 11.12.1913 verschickt und mit den ersten Pro Juventute Marken frankiert, welche erst zehn Tage vorher in Umlauf kamen. Aus philatelistischer Sicht weist die Karte jedoch noch zahlreiche weitere Besonderheiten auf.

So wurde sie auch mit dem sogenannten Pro Juventute Vorläufer versehen. Dieser wurde 1912 von der Post herausgegeben, hatte jedoch keinen Frankaturwert und konnte nicht als Briefmarke verwendet werden. Die aufgedruckten 10 Rappen kamen vollumfänglich der Pro Juventute zugute.

Eine weitere Kuriosität ist die Verwendung der Nachportomarke. Diese konnte nicht zum Frankieren von Briefen verwendet werden, sondern wurde von der Post bei einem ungenügend frankierten Brief angebracht, um das vom Empfänger erhaltene Nachporto zu quittieren. Und warum die Postkarte eingeschrieben verschickt wurde, weiss wohl nur der Absender.

Glückwunschkarte mit Stehender Helvetia 25 Rp. (SBK 95B), Tellknaben im Rahmen 
2 Rp. und 3 Rp. (SBK 101, 102), Helvetia mit Matterhorn (SBK J1), 
«Viel Sonnenschein im neuen Jahr» PJ Vorläufer ohne Frankaturwert (SBK I), 
Nachportomarke Ziffermuster mit Sternen im Doppelkreis (SBK 23B)

Literatur und Abkürzungen:

Borek, Briefmarken Altdeutsche Staaten (https://www.borek.de/briefmarkenwelt/philatelie/briefmarken-altdeutsche-staaten , abgerufen Dezember 2020)

Brockhaus in fünf Bänden, 10.A. 2004

Gerlach Hans-Henning, Weltatlas zur Philatelie, 1980

Harenberg Bodo, Chronik des 20. Jahrhunderts, 1983

Hertsch Max, Schweizer Briefmarken, 1973

Kinder Hermann / Hilgemann Werner, Dtv-Atlas zur Weltgeschichte, 17. A., 1981

Michel Katalog («Mi»)

Schweizer Briefmarkenkatalog («SBK»)

Winkler Jean, Handbuch der Schweizer Vorphilatelie 1695-1850, 1968

Wittwer Markus, Die schweizerischen Soldatenmarken 2. Weltkrieg 1939-1945, 2004 («Wittwer»)

Der Artikel (inklusive englische Übersetzung) erschien zuerst auf meiner privaten Webseite und ist hier abrufbar.

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